Morgens 06:00 Uhr am unteren Eingang der SamariaschluchtPünktlich um 05:00 Uhr klingelte der Wecker. Ich war sehr erstaunt, dass der gestrige Abend keine Nachwirkungen zu haben schien. Kurz duschen und dann eine schöne Tasse Kaffee. Den hatten wir vorsorglich mitgenommen, denn um diese Uhrzeit wollten wir uns auf eine offene Taverne nicht verlassen. Ein paar Kekse fanden sich auch noch im Marschgepäck, so dass wir was zu Essen hatten. Dann räumten wir noch ein wenig unseren Müll zusammen und brachen auf in Richtung Samariá.

Auf der Straße erlebten wir dann einen kretischen Hund in Aktion. Das war ein riesiges Vieh und da es noch dunkel war, sahen wir nur seine Umrisse. Klar kennen wir das Sprichwort „Hunde, die bellen, beißen nicht“. Aber kennt der Hund dieses Sprichwort auch? Versteht der überhaupt deutsch? Irgendwie sind wir aber unbeschadet aus der Affäre herausgekommen. Außer dem Hundegebell war es unheimlich still an diesem Morgen in Agía Rouméli. Das alte Kastell auf dem Berg mutete gespenstisch an.

Es dämmerte bereits, als wir am Eingang zur Schlucht die Parkranger jäh aus ihrem wohlverdienten Schlaf rissen. Als die uns sahen, mussten sie uns wohl für Gespenster gehalten haben. Jedenfalls deuteten dass ihre Minen an. Um diese Uhrzeit hatte wohl noch nie jemand um Einlass gebeten. Aber wir wurden unsere 1200 DRS los. Endlich in der Schlucht. Kaum zu glauben, aber außer uns keine Menschenseele weit und breit. Das war einfach traumhaft. Nach gut zwei, relativ einfach zu laufenden, Kilometern kamen wir an die „Sideropórta“ – die eisernen Tore. Das ist das Bild, dass man in jedem Reisebüro auf Kreta sieht, wenn man eine SamariáDie Sitero Portes, die engste Stelle der Samariaschlucht. MENSCHENLEER! - Tour bucht. Leider sehen es die meisten Touris aber nicht so. An der engsten Stelle der Schlucht – sie ist hier nur 3–4 Meter breit und an die 600 Meter hoch – treffen sich im Normalfall so viele Leute, dass es bald sinnvoll wäre, hier eine Fußgängerampel zu installieren, um Staus zu vermeiden. Hier kommen nämlich die „mutigen“ Wanderer, welche die ganze Schlucht durchlaufen mit den „feigen“ Wanderern, die nur von unten ein Stück in die Schlucht hineinlaufen, zusammen. Aber um diese Urzeit waren die meisten Touristen noch nicht einmal auf dem Weg zur Schlucht. Gott sei dank! So hatten wir die Eisernen Tore ganz für uns allein. Das haben wir auch ausgiebig zum Filmen und Fotografieren genutzt, denn so haben wir sie auch noch nicht gesehen.

Wir gingen langsam, uns immer wieder umdrehend, weiter. Auf dem nächsten Rastplatz (die haben hier alle Namen, leider habe ich diese nirgends notiert) machten wir, wie der Name schon andeutet, Rast. Frisches Wasser war in diesem Jahr zwar nicht mehr aus dem Bach zu haben, dafür aber aus den Brunnen auf den Rastplätzen. Bei genauem Hinsehen erkennt man aber, dass diese auch nur über Schläuche bewässert werden. Egal, Hauptsache was zu trinken. Auch hier brauchten wir natürlich nicht anzustehen oder zu drängeln. Wir waren ja immer noch alleine. Nach einer Zigarettenlänge setzten wir die Wanderung fort. Immer wieder blieben wir stehen und bewunderten die Schönheit der Schlucht. Dazu kommt man einfach nicht, wenn man sich zu normaler Tageszeit hier aufhält. Man wird dann immer wieder geschubst und weitergedrängelt.

Verlassenes Dorf, heute Rettungsstation: SamariaNach etwas mehr als zwei Stunden erreichten wir dann Samariá. Hier ist eine Rettungsstelle installiert. Sogar einen Hubschrauberlandeplatz hat es hier. Früher war Samariá ein kleines, wohl auch sehr verträumtes Bergdorf. Als aber die Samariá – Schlucht zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, wurden die Einwohner umgesiedelt. Ob die damit einverstanden waren, weiß ich nicht. Im Naturschutzgebiet „Samariá“ gibt es seltene und sogar endemische Pflanzen und Tiere. Aber vor allem soll hier die kretische Wildziege „Kri – Kri“ geschützt werden. Wir haben leider auch bei dieser Wanderung keine zu Gesicht bekommen. Schade. Jedenfalls machten wir in Samariá wieder Pause. Dabei erinnerten wir uns lachend an den Vortag. Da hatten wir hier auch gerastet und unsere Orangen verspeist. Marek und ich konnten das in Ruhe tun. Nur mein Bruder wurde von einer Herde Mörderwespen überfallen. Er hat dann klein bei gegeben und die Apfelsine den Wespen überlassen. Immer noch besser, als von den Biestern gestochen zu werden.

Grandiose Landschaft eines HochgebirgesJetzt fingen wir langsam an zu wetten, wo uns die ersten Touris entgegenkommen würden. Ein paar einsame Wanderer kamen ja schon. Die haben sicherlich auch noch die Ruhe einer einsamen Schlucht gesucht. Etwas mehr als einen Kilometer hinter Samariá wird das Flussbett relativ breit. Irgendwann hat an dieser Stelle ein Wanderer ein kleines Steinmännchen gebaut. Heute stehen hier Tausende. Der Mensch ist eben doch ein Herdentier. Warum diese Männchen gebaut wurden, weiß keiner. Wir auch nicht. Dann endlich war es soweit. Die erste Menschenwalze rollte auf uns zu. In Anbetracht der Uhrzeit mussten diese aus der näheren Umgebung kommen. Es war erst 10 Uhr. Viele dusslige Blicke auf uns gerichtet zu wissen, gingen wir grußlos an der ersten Gruppe vorbei. Langsam wurden es aber immer mehr Menschen. Einige schauten uns mitleidig, andere entgeistert an. Es passierte sogar, dass wir freundlich darauf hingewiesen wurden, wir liefen in die falsche Richtung. Falsch. An der kleinen Kirche „Ágios Nikolaos“ machten wir die letzte größere Rast. Vor uns stand nun der härteste Teil der Wanderung. Auf ca. 4km Länge mussten wir noch fast 1000 Höhenmeter überwinden.

Also, auf ging es. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nach und nach ebbte der Touristenstrom ab. In einer der letzten Gruppen, die wir überwinden mussten, war ein junger Mann, der wissen wollte, ob er nicht bald am Ziel sei oder wenigstens die nächste Taverne gleich kommen würde. Eine Taverne in der Samariá – Schlucht gibt es genau so häufig, wie Schnee in der Sahara. Und er hatte gerade zwei Kilometer hinter sich. Der Ärmste. Aber auch uns schwanden nach und nach die Kräfte. Vielleicht hatten wir uns doch etwas überschätzt und die Tour zu schnell angegangen. Unsere Schritte wurden immer kürzer und die Pausen immer länger. Zum Glück hatten wir genügend Wasser bei uns. Die Brunnen hier oben waren entweder schon abgestellt oder funktionierten noch nie. Der letzte Kilometer wurde zur Qual. Jeder Schritt zehrte an der Substanz. Der vorherige Ouzo – Abend hatte also doch seine Wirkung nicht verfehlt. Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung.

Wieder am Anfang der TourKaum zu glauben, aber wahr. Irgendwann tauchte tatsächlich das Kassenhäuschen am oberen Ende der Schlucht auf. Das gab noch einmal Kraft. Nach ca. 7 Stunden und 13 km stetigen Bergaufwanderns verließen wir die Schlucht zwar kaputt, aber sonst kerngesund. Jetzt war es aber an der Zeit, was Richtiges zu essen. Und Durst hatten wir auch. Immer nur Wasser ist zwar gut, aber auf die Dauer auch nicht schön. Ich leerte zwei große Flaschen mit kaltem Kakao. Das war ein Genuss und pumpte  wieder Energie in die Akkus. Das war auch bitter nötig, denn wir mussten ja noch nach Ágios Nikólaos fahren. Nach ca. einer Stunde Pause setzten wir uns wieder in Bewegung. Diesmal aber mit Auto. Doch auch das sollte nicht problemlos vonstatten gehen.

Langsam und unbemerkt hatte sich der Himmel zugezogen. Wir waren auf den engen Strassen in den Bergen schon ein ganzes Stück vorangekommen, als der Himmel plötzlich seine Schleusen öffnete und uns mit einem Regenschauer gigantischen Ausmaßes beglückte. Danke. Wir fuhren ja nur im offenen Jeep! Bevor wir auch nur einen Gedanken daran verschwenden konnten, dass Dach aufzubauen, war dies auch schon gar nicht mehr nötig. Binnen weniger Sekunden stand das Wasser im Auto und wir waren logischerweise total durchnässt. Nun brauchten wir das Dach auch nicht mehr. Von dieser Unterwasserfahrt existieren auch bewegte Bilder. Leider hat mein Bruder die Kamera zu früh wieder weggepackt. So konnte er meine astreine Pirouette, welche ich auf die Straße legte, nicht mehr filmen. Mann, war das knapp. Ein Stückchen weiter und wir hätten noch ein paar Überschläge den Berg hinunter an unsere Tanzeinlage hängen können. Hätte mit Sicherheit gute Haltungsnoten gegeben, aber ob wir das überlebt hätten, weiß ich nicht. Auch hatten wir Glück, dass gerade kein Gegenverkehr oder so was kam. Mit schlottrigen Knien setzten wir die Fahrt fort.

Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Hatte es überhaupt geregnet? Soll doch eigentlich gar nicht möglich sein im September! Wir glaubten unserem Reiseführer und beschlossen, dass wir den Regen nur geträumt hatten. Aber warum waren unsere Klamotten so nass? Wer weiß, vielleicht weil wir zu sehr schwitzten. Die weitere Fahrt verlief dann reibungslos. Die Stecke war uns mittlerweile vertraut und Außergewöhnliches gab es auch nicht. Pünktlich zum Abendessen erreichten wir wieder das Hotel „Santa Marina“ in Ágios. Das wir an diesem Abend sogar auf unser Feierabendbier verzichteten, wird jedem wohl klar sein.


© 2003-2004 by Magic Illusions

Samaria rauf

Besucher seit dem 01.06.2003

 

Letzte Änderung am Mittwoch, 17.Januar, 2012 um 06:23:21 Uhrum 06:23:52 Uhr